Weil uns die nationalen Klimaschutzziele zu lahm und langsam sind, wollen wir bis zum 100-jährigen Jubiläum unserer Siedlung diese CO2-neutral und klimafreundlich gestalten. Als ersten Schritt haben wir die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohnerschaft in einer Fragebogenaktion erkundet. Untenstehend können Sie die Ergebnisse unserer Umfrage als pdf herunterladen- als Wortdatei und als Grafik-Datei. Die Ergebnisse, die ein hohes Umweltbewusstsein in der Siedlung spiegeln, wurden am 24.Februar 2019 im EMA-Gemeindesaal vorgestellt. Die Veranstaltung war gut besucht, das Feedback positiv.
Vor kurzem war es noch undenkbar, dass Berlin an Wasserknappheit leiden könnte. Doch nach mehreren Dürrejahren seit 2018 müssen auch wir an dem kostbaren Lebenselixier sparen, wo es nur geht. Wir haben deshalb im Sommer 2023 einen Wasserflyer mit Tipps erstellt, den Sie hier herunterladen können:
Hier können Sie unseren Flyer herunterladen, in dem wir erklären, wie man auch in unserer Siedlung klimafreundliches Terra-Preta-Substrat in einem ganz normalen Kompost herstellen kann.
Hier können Sie unseren Flyer herunterladen, in dem wir eine kleine Auswahl an insekten- und vogelfreundlichen Pflanzen präsentieren. Da unsere kleinteilige naturnahe Siedlung direkt an den Grunewald grenzt, haben Gartenbesitzer gute Chancen, bedrohten Arten neuen Lebensraum anzubieten und damit die Artenvielfalt zu mehren.
INTERVIEW ZUM WELTERBE-STATUS
“Berlin sollte seine moderne Architektur mehr betonen”
Der Welterbe-Status der Unesco für sechs Berliner Reformsiedlungen von Bruno Taut und anderen kann helfen, in Deutschland mehr Bewusstsein für die Bauten des 20. Jahrhunderts zu schaffen, sagt Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs
taz: Frau Jaeggi, die sechs Berliner Reformsiedlungen haben es
geschafft, sie genießen seit Montagabend den Schutz der Unesco. Freuen
Sie sich?
Annemarie Jaeggi: Ich freue mich sehr! Es ist ein langer Weg bis zur
Anerkennung des Welterbe-Status, und mit den sechs Siedlungen der
1920er-Jahre kann das Bewusstsein für die Moderne gestärkt werden. Sie
ergänzen die modernen Welterbestätten des Bauhauses in Weimar und
Dessau, die Völklinger Hütte und die Zeche Zollverein.
Sie haben im Bauhaus-Archiv im Herbst die Reformsiedlungen
vorgestellt. Was haben die Ensembles eigentlich mit dem Bauhaus zu tun?
Die Architekten Bruno Taut und Walter Gropius kannten sich schon vor
dem Ersten Weltkrieg. Sie waren beide Mitglieder der
Architektenvereinigung “Ring”. Aber mit dem Bauhaus haben die Siedlungen
der Moderne streng genommen nicht viel zu tun. Zwar hat Gropius an der
Siemensstadt mitgewirkt – aber als Privatarchitekt.
Warum dann die Schau im Bauhaus-Archiv?
Die überwiegende Zahl unserer Besucher kommt aus dem Ausland. Wir
beobachten, dass seit einigen Jahren auch immer mehr ausländische
Schulklassen in unser Museum kommen. Das hat – ohne Werbung – enorm
zugenommen. Außerhalb Deutschlands haben die Phänomene der Moderne einen
ganz anderen Stellenwert. Wir fanden also, das reiche Erbe des sozialen
Wohnungsbaus soll gezeigt werden – und wussten, dass wir bei unserem
Publikum auf Interesse stoßen. Es sind in Berlin ja nicht nur die sechs
Siedlungen. Die Stadt ist voll davon: Wir haben einen Gürtel des
sozialen Wohnungsbaus mit höchster Qualität.
Für den sich die meisten Einheimischen aber anscheinend wenig
interessieren, genauso wie für die Bauhaus-Architekturschule. Woran
liegt’s?
In Deutschland gehört Bauhaus oft nicht zum Lehrplan der Schulen.
Das heißt, viele Schüler bekommen davon nichts mit. Ich würde nicht von
einer generellen Abkehr sprechen, aber die Verwechslung mit der
gleichnamigen Baumarkt-Kette ist erschreckend hoch. Wir erhalten immer
wieder fehlgeleitete Post und Anrufe zum Sortiment! Der Name Bauhaus
wird mehr damit verbunden als mit der Dessauer Kunstrichtung. Das kann
schon befremden; manchmal fühlt man sich nachgerade als Dogmatiker. Dazu
kommt, dass viele Bauhaus als Stil sehen – und nicht mehr als das, was
es war: eine Avantgarde-Schule, die mit großem Sendungsbewusstsein die
Welt modernisieren wollte.
Wie erklärt sich die Auswahl für den Welterbe-Vorschlag, in der etwa
die berühmte Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf nicht berücksichtigt ist?
Man muss bedenken, dass die Auswahl bereits vor zehn Jahren
getroffen wurde. Damals hat man einiges noch anders gesehen als heute,
aber man kann einen Antrag nicht nachbessern. Er hätte zurückgezogen und
gänzlich neu eingereicht werden müssen – das hätte Berlin um Jahre
zurückgeworfen. Bei den Onkel-Tom-Häusern gibt es das Problem, dass
durch zahlreiche individuelle Veränderungen kein einheitliches
Erscheinungsbild mehr da ist.
Hilft gegen solche Entwicklungen bei den Welterbe-Siedlungen nun der neue Status?
Der Welterbe-Status der Unesco ist in allererster Linie eine
moralische Autorität. Er bringt kein Geld – im Gegenteil, die zuständige
Regierung verpflichtet sich, Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen
eigenständig zu finanzieren und regelmäßig über den Zustand ihrer
Welterbestätten zu berichten. Das ist meines Erachtens gerade bei den
Siedlungen der 1920er-Jahre ein wichtiger Aspekt, denn hier ist der
Veränderungsdruck in den letzten Jahren sehr stark gestiegen.
Was muss jetzt in Berlin passieren?
Die Unesco wird stärker wahrgenommen, als wir denken. Berlin sollte
sein Potenzial moderner Architektur und Stadtkultur stärker in den
Vordergrund stellen – die Unesco-Siedlungen werden diesen Prozess
beflügeln. Es gilt, auf die Qualitäten dieses Erbes aufmerksam zu
machen, auch bei den Bewohnern. Touristen fragen bei uns schon seit
Jahren nach den Bauten der Moderne und den Siedlungen. Am Bauhaus-Archiv
sind wir diesem Interesse mit der Herstellung eines Stadtplans
entgegengekommen, in dem insgesamt 79 Bauten der Moderne vorgestellt und
verzeichnet sind.
Es wird neue Angebote für Besucher brauchen. Bisher kommen die ja
kaum in die entlegenen Gegenden, in denen die Siedlungen stehen.
Absolut. Ein touristisches Konzept ist vonnöten: Touren,
Spaziergänge und Werbematerial in verschiedenen Sprachen und so weiter.
Die Eigentümer der Siedlungen haben bereits eine Initiativgruppe
gebildet und wollen vor Ort Informationszentren einrichten. In der
Wohnstadt Carl Legien und der Hufeisensiedlung gibt es schon
Musterwohnungen, die man besichtigen kann. Die Unterstützer des
Unesco-Antrags stehen in den Startlöchern. Wir wollen klarmachen: Die
Architekten von damals, die haben die Stadttypen der Moderne geschaffen.
Interview: Kristina Pezzei, taz Berlin vom 9.7.2008
Artikel über die Siedlung, erschienen 2001 in der Süddeutschen Zeitung:
„Weltberühmte Farbigkeit“
In der Onkel-Tom-Siedlung in Berlin-Zehlendorf, entworfen von
Bauhaus-Architekt Bruno Taut, fühlen sich auffällig viele Architekten
wohl
Nur manchmal zerstört ein durchrasselndes Auto die Stille des
Treibjagdweges. Das unbedeutende Sträßchen am südwestlichen Rand der
Bundeshauptstadt hat hat etwas Besonderes: seine Architektendichte.
Jeder neunte Eigentümer, der in den 45 Einfamilienhäuschen mit Vorgarten
und Garten lebt, zählt zu diesem Stande. In den umliegenden Straßen,
die ebenfalls zur denkmalgeschützten Onkel-Tom-Siedlung in
Berlin-Zehlendorf gehören, dürfte die Konzentration nicht viel geringer
sein. Die Siedlung ist eine Wohlfühl-Siedlung – das sehen fast alle
ihrer Bewohner so, und die Architekten unter ihnen wissen ihr Urteil
fachlich zu untermauern.
Rüdiger Hammerschmidt zog vor 15 Jahren mit Frau und zwei Kindern in
den Treibjagdweg der „Tuschkastensiedlung“, wie sie ihrer auffallenden
Farben wegen im Volksmund genannt wird. Der nördliche Teil der zwischen
1926 und 1932 erbauten Häuserzeilen wurde von Bruno Taut, Hugo Häring
und Otto Rudolf Salvisberg entworfen, allesamt Anhänger des
Bauhaus`schen Flachdaches, der nördliche und noch buntere von Taut
alleine. Hammerschmidt rühmt vor allem die „weltberühmte Farbigkeit“ der
Siedlung, die Architekturstudenten aus aller Welt anlockt. Die
Ost-Wände der nur fünf Meter breiten Häuschen sind in grünen, die
West-Mauern in rotbraunen Farbtönen gehalten. Fenster- und Türrahmen
sind dreifarbig abgesetzt. Eintönigkeit gibt es hier nirgendwo, zumal
die Häuserzeilen einem unregelmäßigen Rhythmus folgen und immer wieder
von größeren Eckhäusern, teilweise in knallblau, unterbrochen werden.
Architekt Hammerschmidt ließ sich davon so begeistern, dass er auch
im Inneren seines Hauses die ursprüngliche kräftige Farbgebung wieder
herstellte. „Das blaue Schlafzimmer korrespondiert mit der kühlen
Morgensonne und das rote Esszimmer mit der warmen Abendsonne“, erklärt
er das Taut`sche Farbkonzept. „Wenn die Sonne scheint, sieht das hier
einfach zauberhaft aus“.
Schräg gegenüber von Hammerschmidts wohnen die Sommers. Auch Heike
und Detlev Sommer fühlen sich wohl in ihrem Haus, obschon sie es mit
zwei Kindern und einem gemeinsamen Architekturbüro verdammt eng haben.
Bis vor kurzem stand der Kopierer im Wintergarten, ihre Computer klebten
in zwei Zimmerchen unterm Flachdach. Inzwischen haben sie ihre
Arbeitsplätze ausgelagert. Den Sommers gefällt besonders, dass die
Siedlung so durchmischt ist – in jeder Hinsicht. Sie sei alt, aber könne
auch moderne Komfort-Ansprüche erfüllen. Die Häuser seien klein, aber
doch sei jeder Zentimeter optimal ausgenutzt. Sie sei städtisch
verdichtet und doch naturnah unter alten Waldbäumen, die Taut damals
bewusst stehenließ. Auch ihre Bevölkerung sei sozial gemischt. „Und: Die
Siedlung ist kein Manifest, kein strikt rational gebautes Objekt wie
sonst beim Bauhaus“, findet Heike Sommer. Ihre kleinräumige Struktur
mache sie im Gegenteil fast schon „bullerbümäßig“.
Das Kleinteilige fördert auch die Nachbarschaft. In den schmalen
Gartenparzellen sind Kontakte geradezu unvermeidlich – ein von Taut
beabsichtigter Effekt. „Schwätzchen übern Gartenzaun sind hier gang und
gäbe“, befindet Dieter Meisl, ebenfalls im Treibjagdweg wohnender
Architekt. Aber Taut habe mit der Abschirmung der Terrassen bzw.
Wintergärten auch dafür gesorgt, „dass man nicht muss, wenn man nicht
will.“ Das sei in manchen modernen Siedlungen mit ähnlichen
Parzellenmaßen viel schlechter gelöst. „Also wenn hier die Sonne
durchgeht, ist es fantastisch“, schwärmt auch Dieter Meisl von seinem
Häuschen.
„Der Bauhausstil gefällt einfach vielen Architekten“, glaubt auch
Nicola Schmidt, die mit zwei Kindern im Lappjagen wohnt, zwei Steinwürfe
entfernt vom Treibjagdweg. „Und vielleicht wissen Architekten mehr als
andere Bewohner den Denkmalschutz zu würdigen, unter dem die Siedlung
steht“, ergänzt ihr Lebenspartner. Auch sie haben ein gemeinsames
Architekturbüro. Lassen sie sich dabei von Bauhausideen beeinflussen?
„Eins zu eins kann man das heute nicht mehr übernehmen, aber der Geist
inspiriert schon“, sagt Nicola Schmidt. Ihren Partner faszinieren
besonders die Details: die Fensterrahmen, die verwendeten Materialien
und Farben: „Da steckt ganz viel Gehirnschmalz dahinter.“ Das sehe man
auch daran, dass alle später eingebauten Türen und Fenster „hier nur
stören“. Die Siedlungsprojekte im Berliner Umland „bauen heute wieder
auf Bauhaus-Gedanken auf, vor allem in ihrer Farbigkeit“, berichtet er.
Die ganze Siedlung vermittle „Geborgenheit“, findet seine
Lebenspartnerin. „Wie sie in den Wald hinein gebaut worden ist, das ist
einmalig schön.“ Und wenn man aus dem Fenster schaue, „dann sieht man in
eine Kiefernflut.“ Ute Scheub
„Krieg in Zehlendorf – Der Dächerkrieg am Fischtal“
Von Richard Röhrbein
Die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg war katastrophal:
Millionen von Menschen suchten eine angemessene Wohnung, menschenwürdig
gelegen, ausreichend groß und bezahlbar. Die bis dahin ausschliesslich
privatwirtschaftliche Wohnungswirtschaft hatte versagt. Die Weimarer
Republik übernahm die Fürsorge für das Wohnen in die Verfassung auf und
organisierte in Form der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Abhilfe, vor
allem durch die nun zum ersten Mal in der Geschichte einsetzende
staatliche Förderung, unter anderem durch die „Hauszinssteuer“. Diese
Siedlungen lagen weitgehend aufgrund der hier niedrigeren
Grundstückspreise am Stadtrand – wie auch hier in Zehlendorf.
Organisiert wurden diese Siedlungen durch gewerkschaftliche
Einrichtungen – wie auch hier durch die Gehag und die Gagfah, die je ein
eigenes Programm verfolgten und unterschiedliche Bewohnerschaften,
Einkommensschichten und Parteizugehörigkeiten versorgten.
DIE STRASSE AM FISCHTAL
Die bürgerlichen Mehrheiten des Bezirks Zehlendorf hatten sich zunächst
mit allen Kräften gegen diese Siedlung für Arbeiterfamilien aus der
Innenstadt gesträubt. Schließlich begann die Gehag 1926 den Siedlungsbau
mit dem „Kiefernhof“ nahe dem U-Bahnhof, entlang der Riemeisterstrasse.
Der Siedlungsbau kam in den folgenden Jahren auch auf der Westseite der
Strasse am Fischtal voran. Die Ostseite der Strasse sollte unbebaut
bleiben und den Blick auf den im Zuge des U-Bahnbaus und seinem
Bodenaushub entstandenen Fischtal-Park offen halten. Dann setzten ab
1927 Planungen der Gagfah für „gehobene Einkommensschichten“ mit
möglicher Eigentumsbildung ein. Dieser beiderseitige Siedlungsstreifen
von der Wilski – bis zur Onkel-Tom-Strasse steht in sehr vielfältigen
sozialen, politischen und baukulturellen Zusammenhängen. Er ist auch
die ideologische Reaktion auf die Weissenhofsiedlung in Stuttgart, der
Avantgarde der modernen Architektur.
Die konservativen Gegner der Onkel-Tom-Siedlung diffamierten das
Flachdach als architektonisches Verbrechen und setzten ihm das
„deutsche“ Spitzdach entgegen, unter anderem auf der südlichen Seite der
Straße Am Fischtal und im Sprungschanzenweg. Der hier ausgefochtene
„Dächerkrieg“, die Verurteilung des Flachdaches, war ein Symbol für den
Kampf der Konservativen gegen den sozialen Wandel überhaupt. Das
Spitzdach und die Kritik an der „entarteten Baukunst“ wurden später
Kernbestandteil der nationalsozialistischen Ästhetik.
Der Dächerkrieg ist längst verhallt. Hier werden keine Farbbeutel
mehr geworfen, keine ideologischen Grabenkriege mehr geführt. Die beiden
ehemaligen Gewerkschaftsorientierungen – Gehag und Gagfah – sind heute
amerikanische Fonds mit deutscher Beteiligung. Alles in allem ein Stück
spannende Kultur- und Sozialgeschichte mit guter landschaftlicher
Einbindung.
Aber bei allen zurückliegenden und vergessen erscheinenden kulturgeschichtlichen Aspekten bleibt festzuhalten:
Die an der Onkel-Tom-Siedlung Beteiligten wurden von den
Nationalsozialisten existentiell bedroht und mussten Deutschland unter
Lebensgefahr verlassen. Der ursprüngliche Bodenbesitzer, Bauunternehmer
und Entwickler der U-Bahn Adolf Sommerfeld floh nach England. Martin
Wagner, der Gewerkschaftsfunktionär der „Sozialen Baubetriebe“ und
Stadtbaurat von Berlin, fand Aufnahme in der Türkei. Alle beteiligten
Architekten wurden zum Gehen gezwungen. Bruno Taut floh über Japan in
die Türkei, Hugo Häring konnte in seinem Geburtsort Bieberach
untertauchen, Rudolf Salvisberg ging in seine Schweizer Heimat, Fred
Forbat emigrierte nach Schweden, Alfred Grenander zog sich in seine
Heimat Schweden zurück.
Einige Architekten der „Gegenseite“, der Spitzdachseite, wurden
indes die Erfolgsarchitekten im „Dritten Reich“. Die Gagfah bekam eine
Sonderstellung nach 1933, die Gehag wurde in der Reichsarbeitsfront
„gleichgeschaltet“. Etliche Bürger der Onkel Tom-Siedlung als
Sozialdemokraten oder Gewerkschaftler zu teilweise erheblichen
Gefängnisstrafen verurteilt.
Gedächtnistafeln erinnern an die Ermordung zweier Bürger in
Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944.
Und seit 2009 weist an der Ecke Wilkistraße/ Straße am Fischtal eine
Informationstafel des Bezirksamtes auf den „Dächerkrieg hin, aber
leider nicht auf diese bitteren Wahrheiten.
1984 wurde begonnen, die Siedlung unter Schutz zu stellen – in Form des Ensembleschutzes. Dies erfolgte unter Volker Hassemer, damals CDU-Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz unter Weizsäcker; nach dem 1995 novellierten Denkmalschutzgesetz wurde das Siedlungsensemble auf die Liste der zu schützenden Denkmäler gesetzt. Das Interessante an diesem Verfahren war, dass nun endlich auch mal von Sozialdemokraten geplante Wohnbauten und Siedlungen der Weimarer Republik geschützt wurden und nicht mehr wie lange Zeit nur Burgen, Schlösser und Kirchen der Feudalgesellschaft.
Der Leiter der Denkmalpflege war damals Professor Engel, sein
Stellvertreter Diplomingenieur Kloss. Letzterer hatte sich schon
längerfristig für die Siedlung eingesetzt, unter bei der damaligen
Eigentümerin GEHAG.
Man wollte es diesmal mit dem Unterschutzstellungsverfahren
besonders „geschickt“ machen – mit Bürgerbeteiligung. Das wurde zum
Bumerang, sprich: Es gab viel Protest aus der Bevölkerung. Professor
Posener, ein prominenter Bau- und Kunsthistoriker aus dem Bezirk
Zehlendorf, meldete Bedenken an. Wieso, weiß heute niemand mehr. Diese
Proteste führten zu Verzögerungen, und diese Zeit nutzten Vertreter des
„rabiaten Kleinbürgertums“ dazu, noch schnell diverse Veränderungen
vorzunehmen. Kleinflügelige und kleinsprossige Fenster wurden
herausgerissen und durch pflegeleichte Ganzglasfenster ersetzt. Aber
dabei wurden sie auch sogleich um einen halben Stein vertieft und neu
eingesetzt. Nun starrten und starren „blinde Augen“ die Betrachter an.
Der Architekt Bruno Taut hatte die ursprünglichen Fenster bündig in die
Hausfront setzen lassen. Eine leicht vorstehende Blechverwahrung am
oberen Rand des Fensters und seitliche Abdeckleisten gaben etwas Profil
und damit Schattenwirkung bei Streiflichtern der untergehenden Sonne.
Sie erzeugten eine feine Reliefwirkung aus der Konstruktion, nicht
künstlich dekorativ aufgesetzt wie bei der historischen Architektur.
Wir können hier gar nicht all die individualisierenden Ideen und Taten
der Hauseigentümer aufführen. Der Ersatz und Einsatz verschiedenster
Haustüren war das hervorstechendste Merkmal dieser verhübschenden
Individualisierung. Gegen eine solche Tendenz hatte Bruno Taut schon zur
Entstehungszeit Kritik geäussert – als „Ungeist“ einer aus dem
kollektiven Genossenschaftswesen erwachsenen Siedlung.
Das Siedlungs-Ensemble wurde dann 1995 formal als Schutzobjekt
eingetragen. Im Jahre 2009 wurde mehrere Berliner Siedlungen der
Weimarer Republik, unter anderem von Bruno Taut, auf die
Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen.
Nun gab es erneut Kritik aus der Siedlung: Warum nicht die
Onkel-Tom–Siedlung? Der Grund waren unter anderem die
individualisierenden Beeinträchtigungen der Gesamtgestaltung!
Heute sind vermehrt Eigentümer wegen des Images der Siedlung als
Geschichts- und Kulturdenkmal hierhergezogen, ältere Bewohner freuen
sich über traditionsverbundene Rückbesinnungen. Auch ist der
Denkmalsstatus steuerlich durchaus interessant. Aber immer noch scheint
es schwierig zu sein, bei Renovierungen den richtigen Farbton zu
bestellen, immer noch wird die vereinheitlichende Farbgebung
„verpasst“. Andererseits gibt es sehr überzeugende Lösungen für farblich
geschlossene Reihen – sogar für solche, die erst nachträglich, Stück um
Stück, wieder hergestellt wurden – zum Beispiel in der Strasse am
Gestell.
Inzwischen ist die Onkel Tom-Siedlung in aller Welt bekannt. Immer
mehr Studierende und sonstige Besucher kommen hierher und freuen sich
insbesondere an der Farbigkeit der Siedlung. Uns ist sie tägliche
erfreuliche Gegenwart – wie schön! Auch darum steht an der Ecke
Argentinische Strasse und Riemeisterstrasse ein Denkmal für Bruno Taut
(1880-1938).
Menschen, die in unsere Siedlung ziehen, wissen oft nicht, wie sie ihre Häuser denkmalgerecht sanieren sollen. Hierfür hat die Denkmalschutzbehörde eine “Gebrauchsanweisung” veröffentlicht. Hier der Link zum Denkmalschutzkonzept
Bericht über die EMA-Veranstaltung und die Ergebnisse der Umfrage zur „Klimafreundlichen Papageiensiedlung“ am 24.2.2019Vor Beginn der Veranstaltung wurden Nistkästen abgeholt, die der BUND Südwest dankenswerterweise Interessierten gratis zur Verfügung stellte.Hinweis: Wer einen aufhängt, möge dies bitte katzen- und regensicher machen, also genügend hoch und mit dem Einflugloch nach Osten. Im Internet gibt es Anleitungen. Der BUND bittet für seine Website um Fotos von aufgehängten Kästen, auch wenn sie noch nicht bewohnt sind, an folgende Adresse: eve.kersten@gmx.de Moderator Hans-Jürgen Kraft vom Verein Papageiensiedlung begrüßte die Gäste. Trotz des sonnigen Wetters waren knapp 60 Personen erschienen, was von hohem Interesse für die Sache zeugte. Er wies darauf hin, dass die 1926 bis 1931 gebaute Siedlung von Beginn an ein Modellprojekt war. Das bevorstehende 100-jährige Jubiläum wäre ein guter Anlass zu beweisen, dass das erneut der Fall sein könnte. Wenn die Nachbarschaft es schaffen würde, bis 2030 CO2-neutral zu werden, dann könnte das auch andere Siedlungen anstecken. Weltweit sind Kommunen im Klima-Aufbruch. Klimaschutz von unten ist wirksamer als die nationalen Klimaziele lahmer Regierungen. Ute Scheub und Christian Küttner stellten die Projektidee „Klimafreundliche Papageiensiedlung… die nächsten 100Jahre“ vor. Die Grundsatzfrage lautet: Wie würden ihre Architekten Taut, Häring und Salvisberg die Siedlung heute für die nächsten 100 Jahre umbauen? Sie betonten, dass das kein Projekt gegen irgendwas ist, sondern fürKlimafreundlichkeit. Damit ist neben dem natürlichen Klima auch das soziale in der Nachbarschaft gemeint. Das Projekt ist eine von hoffentlich sehr vielen Antworten auf die Klimastreiks, die die 16-jährige Schülerin Greta Thunberg ins Leben rief. Die Grundsätze lauten: Alles ist freiwillig, niemand wird zu etwas gezwungen. Das Ganze soll Spaß machen und Freude bereiten. Die Voraussetzungen in der Siedlung hierfür sind sehr gut:* Nachbarschaftsgeist und Öko-Bewusstsein sind sehr ausgeprägt* Baugleichheit macht Gemeinschaftslösungen möglich, etwa bei Solaranlagen.* Große Kompetenzen in der Siedlung: Architektinnen, Energieberater etc.Alles in allem ein Riesen-Potenzial. CO2-Neutralität meint dabei nicht null Emissionen, sondern möglichst große CO2-Einsparungen plus Kompensationweiterer Emissionen. Die Technologien hierfür sind alle schon vorhanden: Solar- und Photovoltaikanlagen, Dämmungen, neuartige Heizungssysteme. CO2 kann durch Baumpflanzungen und Terra-Preta-Kompostierung gespeichert werden. Beispielrechnung von Christian Küttner: Nach dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes (www.uba.co2-rechner.de) hat er 2018 8,5 Tonnen CO2 ausgestoßen. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 12 Tonnen. Bis 2030 will er aufunter 4 Tonnen kommen. Das bedeutet minus 2 Tonnen bei Heizen und Dämmen (etwa durch Solarthermie), minus 1 Tonne beim Auto, minus 1 Tonne bei Ernährung (weniger Fleisch), minus 1/2 Tonne beim Fliegen, minus 1 Tonne durch Terra Preta im Garten. Klimaneutralität bis 2030 ist also machbar. Ergebnisse der Umfrage: Es wurden 800 Haushalte per Mail und Flyer informiert. Leider wurden die Mieter:innen in den Häusern der Neue Wohnen zu wenig erreicht, da es keinen Zugang zu ihren Briefkästen gibt und die Aushänge des Vereins sofort abgerissen wurden. 104 Erwachsene und 17 Kinder bzw. Jugendliche haben innerhalb der Frist geantwortet, einige kamen zu spät. Die Rücklaufquote von13 Prozent gilt in den Sozialwissenschaften als gutes und belastbares Ergebnis. 75 Personen haben Interesse am Projekt bekundet, 17 haben besondere Fähigkeiten und Kenntnisse angegeben. Zum Beispiel: Erfahrung mit (Bio)Gärtnern (4), Mitdenken und –planen, Mit Nachbarn reden, Erfahrung mit selbstorganisiertem Projektprozess, Erfahrung mit Autofreiheit, Kontakte zur BVV, Upcycling-Workshops, Erfahrung mit Energieeffizienz-Projekten , IT-Kenntnisse, Erfahrung mit Öko-Architektur ..
Menschen,
die in unsere Siedlung ziehen, wissen oft nicht, wie sie ihre Häuser
denkmalgerecht sanieren sollen. Hierfür hat die Denkmalschutzbehörde
eine “Gebrauchsanweisung” veröffentlicht. Hier der Link zum Denkmalschutzkonzept
Der Nachbarschaftsverein Papageiensiedlung hat einen Online Guide zur Geschichte der Waldsiedlung Onkel Toms Hütte fertig gestell. Kernstück ist eine interaktive Karte, die alle Informationen bündelt. Hier kann der Betrachter den Rundgang, die Bauphasen und die Grafiken individuell an- und ausschalten, mit verschiedenen Grundkarten kombinieren und selbstverständlich auch ein- und auszoomen. An den Stationen des Rundgangs findet die Besucherin QR-Codes, mit denen sie schnellen Zugriff auf die Informationen zum Standort erhlt.
Seit 2017 gibt es den Guide des Nachbarschaftsvereins
Papageiensiedlung bereits in Form eines Ordners, erstellt von Richard
Röhrbein (Text), Michael Heynemann (Fotos) und Matthias Boye
(Aquarelle). Der Spaziergänger erhält hiermit nicht nur einen Eindruck
von den architektonischen und historischen Hintergründen, sondern
erfährt durch kleine Anekdoten auch vom Leben ihrer Bewohner.
Die Online-Version wurde erstellt von Frau Reutter und steht auf zum Download fürs Handy oder zum Betrachten auf dem Bildschirm zuhause.
Der Ordner ist gegen eine Spende zu folgenden Öffnungszeiten im Bruno Taut Laden, Ladenstraße Nord auszuleihen:
Dienstag – Freitag von 14.30 – 18.30 Uhr
Samstag von 10.00 – 14.00 Uhr
Die Unterschutzstellung der Siedlung
VON RICHARD RÖHRBEIN
1984 wurde begonnen, die Siedlung unter Schutz zu stellen – in Form
des Ensembleschutzes. Dies erfolgte unter Volker Hassemer, damals CDU-Senator
für Stadtentwicklung und Umweltschutz unter Weizsäcker; nach dem 1995
novellierten Denkmalschutzgesetz wurde das Siedlungsensemble auf die
Liste der zu schützenden Denkmäler gesetzt. Das Interessante an diesem
Verfahren war, dass nun endlich auch mal von Sozialdemokraten geplante
Wohnbauten und Siedlungen der Weimarer Republik geschützt wurden und
nicht mehr wie lange Zeit nur Burgen, Schlösser und Kirchen der
Feudalgesellschaft.
Der Leiter der Denkmalpflege war damals Professor Engel, sein
Stellvertreter Diplomingenieur Kloss. Letzterer hatte sich schon
längerfristig für die Siedlung eingesetzt, unter bei der damaligen
Eigentümerin GEHAG.
Man wollte es diesmal mit dem Unterschutzstellungsverfahren
besonders „geschickt“ machen – mit Bürgerbeteiligung. Das wurde zum
Bumerang, sprich: Es gab viel Protest aus der Bevölkerung. Professor
Posener, ein prominenter Bau- und Kunsthistoriker aus dem Bezirk
Zehlendorf, meldete Bedenken an. Wieso, weiß heute niemand mehr. Diese
Proteste führten zu Verzögerungen, und diese Zeit nutzten Vertreter des
„rabiaten Kleinbürgertums“ dazu, noch schnell diverse Veränderungen
vorzunehmen. Kleinflügelige und kleinsprossige Fenster wurden
herausgerissen und durch pflegeleichte Ganzglasfenster ersetzt. Aber
dabei wurden sie auch sogleich um einen halben Stein vertieft und neu
eingesetzt. Nun starrten und starren „blinde Augen“ die Betrachter an.
Der Architekt Bruno Taut hatte die ursprünglichen Fenster bündig in die
Hausfront setzen lassen. Eine leicht vorstehende Blechverwahrung am
oberen Rand des Fensters und seitliche Abdeckleisten gaben etwas Profil
und damit Schattenwirkung bei Streiflichtern der untergehenden Sonne.
Sie erzeugten eine feine Reliefwirkung aus der Konstruktion, nicht
künstlich dekorativ aufgesetzt wie bei der historischen Architektur.
Wir können hier gar nicht all die individualisierenden Ideen und Taten
der Hauseigentümer aufführen. Der Ersatz und Einsatz verschiedenster
Haustüren war das hervorstechendste Merkmal dieser verhübschenden
Individualisierung. Gegen eine solche Tendenz hatte Bruno Taut schon zur
Entstehungszeit Kritik geäussert – als „Ungeist“ einer aus dem
kollektiven Genossenschaftswesen erwachsenen Siedlung.
Das Siedlungs-Ensemble wurde dann 1995 formal als Schutzobjekt
eingetragen. Im Jahre 2009 wurde mehrere Berliner Siedlungen der
Weimarer Republik, unter anderem von Bruno Taut, auf die
Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen.
Nun gab es erneut Kritik aus der Siedlung: Warum nicht die
Onkel-Tom–Siedlung? Der Grund waren unter anderem die
individualisierenden Beeinträchtigungen der Gesamtgestaltung!
Heute sind vermehrt Eigentümer wegen des Images der Siedlung als
Geschichts- und Kulturdenkmal hierhergezogen, ältere Bewohner freuen
sich über traditionsverbundene Rückbesinnungen. Auch ist der
Denkmalsstatus steuerlich durchaus interessant. Aber immer noch scheint
es schwierig zu sein, bei Renovierungen den richtigen Farbton zu
bestellen, immer noch wird die vereinheitlichende Farbgebung
„verpasst“. Andererseits gibt es sehr überzeugende Lösungen für farblich
geschlossene Reihen – sogar für solche, die erst nachträglich, Stück um
Stück, wieder hergestellt wurden – zum Beispiel in der Strasse am
Gestell.
Inzwischen ist die Onkel Tom-Siedlung in aller Welt bekannt. Immer
mehr Studierende und sonstige Besucher kommen hierher und freuen sich
insbesondere an der Farbigkeit der Siedlung. Uns ist sie tägliche
erfreuliche Gegenwart – wie schön! Auch darum steht an der Ecke
Argentinische Strasse und Riemeisterstrasse ein Denkmal für Bruno Taut
(1880-1938).
PAPAGEIENSIEDLUNG ODER ONKEL-TOM-SIEDLUNG
„KRIEG IN ZEHLENDORF- DER DÄCHERKRIEG AM FISCHTAL“
Von Richard Röhrbein
Die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg war katastrophal:
Millionen von Menschen suchten eine angemessene Wohnung, menschenwürdig
gelegen, ausreichend groß und bezahlbar. Die bis dahin ausschliesslich
privatwirtschaftliche Wohnungswirtschaft hatte versagt. Die Weimarer
Republik übernahm die Fürsorge für das Wohnen in die Verfassung auf und
organisierte in Form der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Abhilfe, vor
allem durch die nun zum ersten Mal in der Geschichte einsetzende
staatliche Förderung, unter anderem durch die „Hauszinssteuer“. Diese
Siedlungen lagen weitgehend aufgrund der hier niedrigeren
Grundstückspreise am Stadtrand – wie auch hier in Zehlendorf.
Organisiert wurden diese Siedlungen durch gewerkschaftliche
Einrichtungen – wie auch hier durch die Gehag und die Gagfah, die je ein
eigenes Programm verfolgten und unterschiedliche Bewohnerschaften,
Einkommensschichten und Parteizugehörigkeiten versorgten.
DIE STRASSE AM FISCHTAL
Die bürgerlichen Mehrheiten des Bezirks Zehlendorf hatten sich zunächst
mit allen Kräften gegen diese Siedlung für Arbeiterfamilien aus der
Innenstadt gesträubt. Schließlich begann die Gehag 1926 den Siedlungsbau
mit dem „Kiefernhof“ nahe dem U-Bahnhof, entlang der Riemeisterstrasse.
Der Siedlungsbau kam in den folgenden Jahren auch auf der Westseite der
Strasse am Fischtal voran. Die Ostseite der Strasse sollte unbebaut
bleiben und den Blick auf den im Zuge des U-Bahnbaus und seinem
Bodenaushub entstandenen Fischtal-Park offen halten. Dann setzten ab
1927 Planungen der Gagfah für „gehobene Einkommensschichten“ mit
möglicher Eigentumsbildung ein. Dieser beiderseitige Siedlungsstreifen
von der Wilski – bis zur Onkel-Tom-Strasse steht in sehr vielfältigen
sozialen, politischen und baukulturellen Zusammenhängen. Er ist auch
die ideologische Reaktion auf die Weissenhofsiedlung in Stuttgart, der
Avantgarde der modernen Architektur.
Die konservativen Gegner der Onkel-Tom-Siedlung diffamierten das
Flachdach als architektonisches Verbrechen und setzten ihm das
„deutsche“ Spitzdach entgegen, unter anderem auf der südlichen Seite der
Straße Am Fischtal und im Sprungschanzenweg. Der hier ausgefochtene
„Dächerkrieg“, die Verurteilung des Flachdaches, war ein Symbol für den
Kampf der Konservativen gegen den sozialen Wandel überhaupt. Das
Spitzdach und die Kritik an der „entarteten Baukunst“ wurden später
Kernbestandteil der nationalsozialistischen Ästhetik.
Der Dächerkrieg ist längst verhallt. Hier werden keine Farbbeutel
mehr geworfen, keine ideologischen Grabenkriege mehr geführt. Die beiden
ehemaligen Gewerkschaftsorientierungen – Gehag und Gagfah – sind heute
amerikanische Fonds mit deutscher Beteiligung. Alles in allem ein Stück
spannende Kultur- und Sozialgeschichte mit guter landschaftlicher
Einbindung.
Aber bei allen zurückliegenden und vergessen erscheinenden kulturgeschichtlichen Aspekten bleibt festzuhalten:
Die an der Onkel-Tom-Siedlung Beteiligten wurden von den
Nationalsozialisten existentiell bedroht und mussten Deutschland unter
Lebensgefahr verlassen. Der ursprüngliche Bodenbesitzer, Bauunternehmer
und Entwickler der U-Bahn Adolf Sommerfeld floh nach England. Martin
Wagner, der Gewerkschaftsfunktionär der „Sozialen Baubetriebe“ und
Stadtbaurat von Berlin, fand Aufnahme in der Türkei. Alle beteiligten
Architekten wurden zum Gehen gezwungen. Bruno Taut floh über Japan in
die Türkei, Hugo Häring konnte in seinem Geburtsort Bieberach
untertauchen, Rudolf Salvisberg ging in seine Schweizer Heimat, Fred
Forbat emigrierte nach Schweden, Alfred Grenander zog sich in seine
Heimat Schweden zurück.
Einige Architekten der „Gegenseite“, der Spitzdachseite, wurden
indes die Erfolgsarchitekten im „Dritten Reich“. Die Gagfah bekam eine
Sonderstellung nach 1933, die Gehag wurde in der Reichsarbeitsfront
„gleichgeschaltet“. Etliche Bürger der Onkel Tom-Siedlung als
Sozialdemokraten oder Gewerkschaftler zu teilweise erheblichen
Gefängnisstrafen verurteilt.
Gedächtnistafeln erinnern an die Ermordung zweier Bürger in
Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944.
Und seit 2009 weist an der Ecke Wilkistraße/ Straße am Fischtal eine
Informationstafel des Bezirksamtes auf den „Dächerkrieg“ hin, aber
leider nicht auf diese bitteren Wahrheiten.
INTERVIEW ZUM WELTERBE-STATUS
“Berlin sollte seine moderne Architektur mehr betonen”
Der Welterbe-Status der Unesco für sechs Berliner Reformsiedlungen
von Bruno Taut und anderen kann helfen, in Deutschland mehr Bewusstsein
für die Bauten des 20. Jahrhunderts zu schaffen, sagt Annemarie Jaeggi,
Direktorin des Bauhaus-Archivs
taz: Frau Jaeggi, die sechs Berliner Reformsiedlungen haben es
geschafft, sie genießen seit Montagabend den Schutz der Unesco. Freuen
Sie sich?
Annemarie Jaeggi: Ich freue mich sehr! Es ist ein langer Weg bis zur
Anerkennung des Welterbe-Status, und mit den sechs Siedlungen der
1920er-Jahre kann das Bewusstsein für die Moderne gestärkt werden. Sie
ergänzen die modernen Welterbestätten des Bauhauses in Weimar und
Dessau, die Völklinger Hütte und die Zeche Zollverein.
Sie haben im Bauhaus-Archiv im Herbst die Reformsiedlungen
vorgestellt. Was haben die Ensembles eigentlich mit dem Bauhaus zu tun?
Die Architekten Bruno Taut und Walter Gropius kannten sich schon vor
dem Ersten Weltkrieg. Sie waren beide Mitglieder der
Architektenvereinigung “Ring”. Aber mit dem Bauhaus haben die Siedlungen
der Moderne streng genommen nicht viel zu tun. Zwar hat Gropius an der
Siemensstadt mitgewirkt – aber als Privatarchitekt.
Warum dann die Schau im Bauhaus-Archiv?
Die überwiegende Zahl unserer Besucher kommt aus dem Ausland. Wir
beobachten, dass seit einigen Jahren auch immer mehr ausländische
Schulklassen in unser Museum kommen. Das hat – ohne Werbung – enorm
zugenommen. Außerhalb Deutschlands haben die Phänomene der Moderne einen
ganz anderen Stellenwert. Wir fanden also, das reiche Erbe des sozialen
Wohnungsbaus soll gezeigt werden – und wussten, dass wir bei unserem
Publikum auf Interesse stoßen. Es sind in Berlin ja nicht nur die sechs
Siedlungen. Die Stadt ist voll davon: Wir haben einen Gürtel des
sozialen Wohnungsbaus mit höchster Qualität.
Für den sich die meisten Einheimischen aber anscheinend wenig
interessieren, genauso wie für die Bauhaus-Architekturschule. Woran
liegt’s?
In Deutschland gehört Bauhaus oft nicht zum Lehrplan der Schulen.
Das heißt, viele Schüler bekommen davon nichts mit. Ich würde nicht von
einer generellen Abkehr sprechen, aber die Verwechslung mit der
gleichnamigen Baumarkt-Kette ist erschreckend hoch. Wir erhalten immer
wieder fehlgeleitete Post und Anrufe zum Sortiment! Der Name Bauhaus
wird mehr damit verbunden als mit der Dessauer Kunstrichtung. Das kann
schon befremden; manchmal fühlt man sich nachgerade als Dogmatiker. Dazu
kommt, dass viele Bauhaus als Stil sehen – und nicht mehr als das, was
es war: eine Avantgarde-Schule, die mit großem Sendungsbewusstsein die
Welt modernisieren wollte.
Wie erklärt sich die Auswahl für den Welterbe-Vorschlag, in der etwa
die berühmte Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf nicht berücksichtigt ist?
Man muss bedenken, dass die Auswahl bereits vor zehn Jahren
getroffen wurde. Damals hat man einiges noch anders gesehen als heute,
aber man kann einen Antrag nicht nachbessern. Er hätte zurückgezogen und
gänzlich neu eingereicht werden müssen – das hätte Berlin um Jahre
zurückgeworfen. Bei den Onkel-Tom-Häusern gibt es das Problem, dass
durch zahlreiche individuelle Veränderungen kein einheitliches
Erscheinungsbild mehr da ist.
Hilft gegen solche Entwicklungen bei den Welterbe-Siedlungen nun der neue Status?
Der Welterbe-Status der Unesco ist in allererster Linie eine
moralische Autorität. Er bringt kein Geld – im Gegenteil, die zuständige
Regierung verpflichtet sich, Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen
eigenständig zu finanzieren und regelmäßig über den Zustand ihrer
Welterbestätten zu berichten. Das ist meines Erachtens gerade bei den
Siedlungen der 1920er-Jahre ein wichtiger Aspekt, denn hier ist der
Veränderungsdruck in den letzten Jahren sehr stark gestiegen.
Was muss jetzt in Berlin passieren?
Die Unesco wird stärker wahrgenommen, als wir denken. Berlin sollte
sein Potenzial moderner Architektur und Stadtkultur stärker in den
Vordergrund stellen – die Unesco-Siedlungen werden diesen Prozess
beflügeln. Es gilt, auf die Qualitäten dieses Erbes aufmerksam zu
machen, auch bei den Bewohnern. Touristen fragen bei uns schon seit
Jahren nach den Bauten der Moderne und den Siedlungen. Am Bauhaus-Archiv
sind wir diesem Interesse mit der Herstellung eines Stadtplans
entgegengekommen, in dem insgesamt 79 Bauten der Moderne vorgestellt und
verzeichnet sind.
Es wird neue Angebote für Besucher brauchen. Bisher kommen die ja
kaum in die entlegenen Gegenden, in denen die Siedlungen stehen.
Absolut. Ein touristisches Konzept ist vonnöten: Touren,
Spaziergänge und Werbematerial in verschiedenen Sprachen und so weiter.
Die Eigentümer der Siedlungen haben bereits eine Initiativgruppe
gebildet und wollen vor Ort Informationszentren einrichten. In der
Wohnstadt Carl Legien und der Hufeisensiedlung gibt es schon
Musterwohnungen, die man besichtigen kann. Die Unterstützer des
Unesco-Antrags stehen in den Startlöchern. Wir wollen klarmachen: Die
Architekten von damals, die haben die Stadttypen der Moderne geschaffen.
Interview: Kristina Pezzei, taz Berlin vom 9.7.2008
Artikel über die Siedlung, erschienen 2001 in der Süddeutschen Zeitung:
„Weltberühmte Farbigkeit“
In der Onkel-Tom-Siedlung in Berlin-Zehlendorf, entworfen von
Bauhaus-Architekt Bruno Taut, fühlen sich auffällig viele Architekten
wohl
Nur manchmal zerstört ein durchrasselndes Auto die Stille des
Treibjagdweges. Das unbedeutende Sträßchen am südwestlichen Rand der
Bundeshauptstadt hat hat etwas Besonderes: seine Architektendichte.
Jeder neunte Eigentümer, der in den 45 Einfamilienhäuschen mit Vorgarten
und Garten lebt, zählt zu diesem Stande. In den umliegenden Straßen,
die ebenfalls zur denkmalgeschützten Onkel-Tom-Siedlung in
Berlin-Zehlendorf gehören, dürfte die Konzentration nicht viel geringer
sein. Die Siedlung ist eine Wohlfühl-Siedlung – das sehen fast alle
ihrer Bewohner so, und die Architekten unter ihnen wissen ihr Urteil
fachlich zu untermauern.
Rüdiger Hammerschmidt zog vor 15 Jahren mit Frau und zwei Kindern in
den Treibjagdweg der „Tuschkastensiedlung“, wie sie ihrer auffallenden
Farben wegen im Volksmund genannt wird. Der nördliche Teil der zwischen
1926 und 1932 erbauten Häuserzeilen wurde von Bruno Taut, Hugo Häring
und Otto Rudolf Salvisberg entworfen, allesamt Anhänger des
Bauhaus`schen Flachdaches, der nördliche und noch buntere von Taut
alleine. Hammerschmidt rühmt vor allem die „weltberühmte Farbigkeit“ der
Siedlung, die Architekturstudenten aus aller Welt anlockt. Die
Ost-Wände der nur fünf Meter breiten Häuschen sind in grünen, die
West-Mauern in rotbraunen Farbtönen gehalten. Fenster- und Türrahmen
sind dreifarbig abgesetzt. Eintönigkeit gibt es hier nirgendwo, zumal
die Häuserzeilen einem unregelmäßigen Rhythmus folgen und immer wieder
von größeren Eckhäusern, teilweise in knallblau, unterbrochen werden.
Architekt Hammerschmidt ließ sich davon so begeistern, dass er auch
im Inneren seines Hauses die ursprüngliche kräftige Farbgebung wieder
herstellte. „Das blaue Schlafzimmer korrespondiert mit der kühlen
Morgensonne und das rote Esszimmer mit der warmen Abendsonne“, erklärt
er das Taut`sche Farbkonzept. „Wenn die Sonne scheint, sieht das hier
einfach zauberhaft aus“.
Schräg gegenüber von Hammerschmidts wohnen die Sommers. Auch Heike
und Detlev Sommer fühlen sich wohl in ihrem Haus, obschon sie es mit
zwei Kindern und einem gemeinsamen Architekturbüro verdammt eng haben.
Bis vor kurzem stand der Kopierer im Wintergarten, ihre Computer klebten
in zwei Zimmerchen unterm Flachdach. Inzwischen haben sie ihre
Arbeitsplätze ausgelagert. Den Sommers gefällt besonders, dass die
Siedlung so durchmischt ist – in jeder Hinsicht. Sie sei alt, aber könne
auch moderne Komfort-Ansprüche erfüllen. Die Häuser seien klein, aber
doch sei jeder Zentimeter optimal ausgenutzt. Sie sei städtisch
verdichtet und doch naturnah unter alten Waldbäumen, die Taut damals
bewusst stehenließ. Auch ihre Bevölkerung sei sozial gemischt. „Und: Die
Siedlung ist kein Manifest, kein strikt rational gebautes Objekt wie
sonst beim Bauhaus“, findet Heike Sommer. Ihre kleinräumige Struktur
mache sie im Gegenteil fast schon „bullerbümäßig“.
Das Kleinteilige fördert auch die Nachbarschaft. In den schmalen
Gartenparzellen sind Kontakte geradezu unvermeidlich – ein von Taut
beabsichtigter Effekt. „Schwätzchen übern Gartenzaun sind hier gang und
gäbe“, befindet Dieter Meisl, ebenfalls im Treibjagdweg wohnender
Architekt. Aber Taut habe mit der Abschirmung der Terrassen bzw.
Wintergärten auch dafür gesorgt, „dass man nicht muss, wenn man nicht
will.“ Das sei in manchen modernen Siedlungen mit ähnlichen
Parzellenmaßen viel schlechter gelöst. „Also wenn hier die Sonne
durchgeht, ist es fantastisch“, schwärmt auch Dieter Meisl von seinem
Häuschen.
„Der Bauhausstil gefällt einfach vielen Architekten“, glaubt auch
Nicola Schmidt, die mit zwei Kindern im Lappjagen wohnt, zwei Steinwürfe
entfernt vom Treibjagdweg. „Und vielleicht wissen Architekten mehr als
andere Bewohner den Denkmalschutz zu würdigen, unter dem die Siedlung
steht“, ergänzt ihr Lebenspartner. Auch sie haben ein gemeinsames
Architekturbüro. Lassen sie sich dabei von Bauhausideen beeinflussen?
„Eins zu eins kann man das heute nicht mehr übernehmen, aber der Geist
inspiriert schon“, sagt Nicola Schmidt. Ihren Partner faszinieren
besonders die Details: die Fensterrahmen, die verwendeten Materialien
und Farben: „Da steckt ganz viel Gehirnschmalz dahinter.“ Das sehe man
auch daran, dass alle später eingebauten Türen und Fenster „hier nur
stören“. Die Siedlungsprojekte im Berliner Umland „bauen heute wieder
auf Bauhaus-Gedanken auf, vor allem in ihrer Farbigkeit“, berichtet er.
Die ganze Siedlung vermittle „Geborgenheit“, findet seine
Lebenspartnerin. „Wie sie in den Wald hinein gebaut worden ist, das ist
einmalig schön.“ Und wenn man aus dem Fenster schaue, „dann sieht man in
eine Kiefernflut.“ Ute Scheub